: Chaos Kicker Club
Auf der Jahreshauptversammlung des Hamburger SV wird die Presse des Saales verwiesen – ein Novum im deutschen Fußball. Danach sekkieren aufgebrachte Mitglieder die Bosse ob der sportlichen Krise bis zur Erschöpfung
HAMBURG taz ■ „Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn!“ – diese Rufe sind in deutschen Stadien üblich, um unterlegene Gegner zu verabschieden. Am Montagabend im Hamburger Congress Centrum allerdings galten sie den Medien. Die HSV-Mitglieder hatten in einer quälenden Prozedur darüber abgestimmt, ob Journalisten der Jahreshauptversammlung beiwohnen dürfen – normalerweise eine Formsache. Aber in diesen Tagen ist nichts normal beim HSV.
Als der konsternierte Aufsichtsratschef Udo Bandow das Ergebnis der Abstimmung verkündete – 731 zu 689 Stimmen für einen Ausschluss – brach Jubel los. Und als nach fünf Minuten noch nicht das letzte Kamerastativ abgebaut war, kochte der Volkszorn hoch: „Haut ab, haut ab“, brüllte der Mob. Die komplette Presse zog ab, die taz blieb freilich unerkannt im Saal.
Das Verhältnis zu den Medien hat gelitten in der sportlichen Krise. Vor allem die Bild-Zeitung, die in den vergangenen Wochen penetrant ein zertümmertes HSV-Logo druckt, stößt auf den Unmut. Der Presseausschluss darf aber vor allem als Machtdemonstration der HSV-„Supporters“ gegenüber dem Vorstand interpretiert werden, einer äußerst aktiven Gruppe. Ihr Signal: Ohne uns geht hier nichts.
So hatte der Coup eher den Effekt, dass die Mitglieder im Saal an der Presse ihr Mütchen kühlten. Vorstandschef Bernd Hoffmann hatte zunächst noch etwas hilflos in den Tumult gerufen: „Ich hatte gehofft, dass wir hier dokumentieren, dass wir kein Chaos-Club sind.“ In seiner eigentlichen, brillant vorgetragenen Rede schreckte der Boss auch nicht davor zurück, zur Verteidigung der Transferpolitik noch einmal gegen den zum FC Chelsea gewechselten Khalid Boulahrouz nachzutreten: Der sei „13 Minuten vor dem ersten Champions-League-Qualifikationsspiel am Mittelkreis zusammengebrochen“, um seinen Wechsel zu ermöglichen. Hoffmann umgarnte die Mitglieder derart geschickt, dass die Misere vielen nicht mehr so schlimm schien.
Dennoch war der Redebedarf danach erheblich. Hoffmann schien eine Ahnung zu haben, als er um eine Diskussion mit offenem Visier bat, „aber bitte so, dass wir uns, wenn wir morgen früh hier rausgehen, noch in die Augen schauen können“. Ganz so weit kam es nicht: Die Versammlung wurde kurz vor Mitternacht unterbrochen und muss nun im neuen Jahr fortgesetzt werden. Denn bisher wurden weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat entlastet. JAN KAHLCKE